Tortuga – die unglaubliche Reise der Meeresschildkröte (Turtle – The Incredible Journey)
Land/Jahr: Deutschland, Großbritannien 2008
Gattung: Dokumentarfilm
Regie: Nick Stringer
Drehbuch: Nick Stringer, Sarah Golding
Sprecherin: Hannelore Elsner
Kamera: Rory McGuinness
Laufzeit: 81 Minuten
FSK: ab 6 Jahren
Altersempfehlung: ab 6 Jahren/ab 1. Klasse
Themen: Tiere, Leben im Meer, Globalisierung, Ökologie, Klimawandel, Natur
Unterrichtsfächer: Sachunterricht, Religion
Inhalt des Films
Die Unechte Karettschildkröte (caretta caretta) ist die wohl bekannteste Vertreterin aus der Familie der Meeresschildkröten – nicht zuletzt deshalb, weil sich schon die ersten Stunden im Leben dieser Tiere als ein besonderes Schauspiel darstellen: Wenn die Eier, die weibliche Schildkröten an südlichen Stränden vergraben haben, von der Wärme der Sonne ausgebrütet wurden, schlüpfen die kleinen Schildkröten und laufen über den Strand ins Meer. Es ist ein Wettlauf ums Überleben, denn zahlreiche Feinde lauern ihnen auf und greifen aus der Luft und vom Boden aus an. Aus manchen Gelegen erlebt nicht einmal die Hälfte der frisch geschlüpften Tiere den ersten Kontakt mit dem Wasser, dem eigentlichen Lebenselexier.
Der Sturmlauf ins Meer ist nicht der einzigespannende Moment im Leben einer Meeresschildkröte. Der Film TORTUGA – DIEUNGLAUBLICHE REISE DER MEERESSCHILDKRÖTE erzählt von einer aus Florida stammenden Meeresschildkröte, die eine erstaunliche, viele Jahre währende Reise durch den Atlantik unternimmt. Sie führt bis weit hinaufin die nördlichen Breiten, dann hinüber Richtung Europa, bevor die Schildkröte Afrika streift und in einem weiten Kreisbogen mit den Strömungen des Ozeans wieder zurückkehrt in die Karibik.
Anders als Zugvögel, die in einem regelmäßigen Rhythmus zwischen Winter- und Sommerquartier wechseln, ist die Reise der Meeresschildkröteein einmaliges Ereignis: Sie verbringt ihre ersten Lebensjahre als Reisende und wird den Rest ihres Lebens in der Karibik verbringen. Der Weg durch den Atlantik ist ihr genetisch eingeschrieben, er hat seinen Sinn wohl darin, dass sie als frisch geschlüpftes Jungtier in den Gewässern der Karibik kaum eine Überlebenschance hätte, wohingegen sich für ausgewachsene Tiere dort beste Lebensbedingungen bieten. Die Schildkröte bleibt dann für viele weitere Jahre dort und kehrt von Zeit zu Zeit genau an den Strand zurück, auf dem sie selbst geschlüpft ist, um dort ihrerseits Hunderte von Eiern abzulegen.
Seit über 200 Millionen Jahren bewältigen die Schildkröten diese oder ähnliche Routen, auf denen sie oft Tausende von Kilometern zurücklegen. Nur eines von 10.000 Tieren überlebt die gefährliche Reise, kann dann aber für mehrere Jahrzehnte zur Erhaltung der Art beitragen. So gefahrvoll und unsicher dieses Vagabundenleben auf den ersten Blick wirkt, so scheint es auf Dauer doch ein Erfolgsmodell zu sein: In der langen Zeit, in der diese Spezies überlebt hat, sind ganze Artengruppen wie die Dinosaurier vom Erdboden verschwunden.
Filmische Realisierung
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in einerTierdokumentation mit narrativen Elementen zuarbeiten: zum Beispiel, indem der Film dem Laufeines Tages oder eines Jahres folgt, die Entwicklungder Jungen beschreibt, bis sie erwachsensind und die Eltern verlassen. Im Fall der Meeresschildkrötenliegt das narrative Muster einerReiseerzählung nahe, die zugleich eine Jugendbiografieist. Nick Stringer, der bereits mehrereBBC-Dokumentationen realisiert hat, folgt in TORTUGA – DIE UNGLAUBLICHE REISE DERMEERESSCHILDKRÖTE diesem Muster konsequent.Eine Off-Stimme erzählt vom Leben einereinzigen Schildkröte, die auf jeder ihrer Etappenwichtige Erfahrungen sammelt und sich voneinem hilflosen Jungtier über Jahre hinweg zueinem Respekt einflößenden Meeresbewohnerentwickelt. Der Film vermittelt dem Zuschauer/der Zuschauerin das Gefühl, vom ersten biszum letzten Moment tatsächlich die immergleiche Schildkröte zu sehen – auch wenn inden Aufnahmen natürlich viele verschiedene„Akteure“ diese „Rolle“ übernehmen.
In der deutschen Fassung des Films sprichtHannelore Elsner den Off-Text – leicht verständlich, einfühlsam, manchmal fast sentimental. DieEtappen der Reise geben Anlass, Informationen über verschiedene Meeresregionen, über diegroßen Meeresströmungen, Umweltverschmutzung, Fischerei und vor allem über viele andereMeerestiere einfließen zu lassen – der große Erzählbogen reißt allerdings nie ab. Dadurchund durch die verständliche Sprache des Off-Textes wird es auch jüngeren Zuschauern/innennicht schwerfallen, dem Film zu folgen. Bei den Dreharbeiten wurde hochwertigeAufnahmetechnik eingesetzt. Dadurch wirdeine Filmerzählung möglich, die nur noch weniggemeinsam hat mit klassischen Tierdokumentationen,in denen die Kamera als distanzierter Beobachter und der Filmemacher/die Filmemacherin als Berichterstatter auftritt. Hier dagegenfolgt die Kamera jeder Bewegung ihrer Protagonistin.Sie scheint oft nur wenige Zentimeter von der Schildkröte entfernt zu sein, nimmt ihrePosition ein, frisst, flieht und taucht mit ihr indie Tiefe des Ozeans.
Einzelne Episoden werden spannungssteigerndmit den filmischen Mitteln gestaltet, die manvor allem aus Spielfilmen kennt. Das gilt vorallem für Gefahrenmomente, so etwa gleich zuBeginn, wenn die Schildkröten um ihr Lebenauf das Meer zulaufen. Aber auch Begegnungenmit einem Hai oder einemgroßen Containerschiff werden so inSzene gesetzt, dass man sich mitunteran einen Krimi oder einen Katastrophenfilmerinnert fühlt. Diese emotionalisierenden Strategienerscheinen nicht als Selbstzweck: DerFilm TORTUGA – DIE UNGLAUBLICHEREISE DER MEERESSCHILDKRÖTEweckt nicht nur Sympathienfür die reisenden Meeresbewohner,er warnt auch eindringlich vor denGefahren, die den Meeresschildkrötendurch menschliche Einflüsse drohen:Hinweise auf Meeresverschmutzung undproblematische Fischereimethoden sindunschwer als Appell für umweltpolitischesHandeln in Sachen Meeresschutz zu verstehen. Diese Momente dominieren aber nicht denFilm, sondern vervollständigen das Bild einererstaunlichen Tierwelt, deren größter Feind der Mensch geworden ist.