ThuleTuvalu
ThuleTuvalu
Schweiz, Grönland, Tuvalu 2014
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Drehbuch: Matthias von Gunten
Darsteller/innen: Takuao Malaki, Lars Jeremiassen, Rasmus Avike, Patrick Malaki, Vevea Tepou, Foni Tulafono, Kaipati Vevea u. a.
Laufzeit: 96 Min., Original mit Untertiteln
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Klassenstufen: ab 9. Klasse
Themen: Mensch und Natur, Ökologie, Meere und Ozeane, Klimawandel, traditionelle Jagd und Fischerei, Volkskultur
Unterrichtsfächer: Erdkunde/Geografie, Sozial- und Gemeinschaftskunde, Politik/Wirtschaft, Religion, Ethik,Philosophie, Deutsch
Inhalt des Films
THULETUVALU folgt einem einfachen Erzählansatz: Der Filmemacher Matthias von Gunten dokumentiert an zwei Orten dieser Erde, wie es Menschen geht, deren traditionelle Lebensweise von dem abhängt, was ihnen das Meer bietet. Auf der einen Seite sind das die Jäger, die in einer der nördlichsten Siedlungen der Erde leben, in Thule (oder Qaanaaq, wie der Ort auf grönländisch heißt). Auf der anderen Seite der Erde pflegen die Einwohner/innen des Pazifikstaates Tuvalu einen ähnlich naturnahen Lebensstil: Viele von ihnen sind im Wesentlichen Selbstversorger/innen, sie ernähren sich vom Fischfang und ernten Kokosnüsse und selbst angebautes Gemüse. Einer der Protagonisten des Films ist Bootsbauer und fertigt die traditionellen Holzboote, von denen aus er mit einer einfachen Angelschnur auf Fischfang geht.
Der Film begleitet die Menschen in Thule und auf Tuvalu eine Weile in ihrem Alltag, bevor er das Thema ins Spiel bringt, das die beiden Orte auf dramatische Weise verbindet. Das Gletschereis, das in Grönland ins Meer stürzt, trägt dazu bei, dass die Tuvalesen am anderen Ende der Welt um ihre Existenzgrundlage fürchten müssen. Ein steigender Meeresspiegel und gehäuft auftretende Stürme machen den flachen Pazifikinseln zu schaffen. Der Untergang dieser Paradiese vollzieht sich schleichend, aber sichtbar: Die Ufer werden unterspült, Bäume stürzen um und das Fehlen ihrer Wurzeln führt zu einer weiteren Bodenerosion. Im Innern der Inseln zerstört die fortschreitende Versalzung lebenswichtige Pflanzungen, wegen des ausbleibenden Regens muss Trinkwasser mit Frachtschiffen herangeschafft werden.
Auch die Jäger im Norden Grönlands spüren den Klimawandel: Während man früher im Herbst mit einer stabilen Eisdecke rechnen konnte, ist der Fjord nun immer länger eisfrei. Tiere ziehen sich zurück und die Jäger haben keine Möglichkeit mehr, von der Eiskante aus Narwale zu jagen. Andererseits verbessern sich die Chancen für den Fischfang – aber für einen traditionellen Jäger ist der Wechsel des Gewerbes eine schwierige Entscheidung.
In einer kurzen Sequenz werden Bilder von der Weltklimakonferenz 2009 gezeigt, als tuvalesische Politiker vergeblich konsequentere Beschlüsse forderten. Aber eindrucksvoller als die große Politik ist das, was an den eigentlichen Schauplätzen passiert. Die Menschen beobachten die allmählichen Veränderungen der Natur mit Sorge und begreifen, dass ihre Existenz von diesen Veränderungen in Frage gestellt wird. Manche reagieren trotzig, wollen es nicht wahrhaben, dass für sie alles auf dem Spiel steht, andere geben sich pragmatisch und wieder andere haben bereits reagiert. Die Zuschauer/innen sehen eine Familie, die aus Tuvalu ausgewandert ist und in Neuseeland in einem gepflegten Einfamilienhaus lebt. Es ist ein anrührender Exkurs, denn man spürt, wie sehr die Menschen, denen es doch scheinbar gut geht, dem Leben auf dem Atoll nachtrauern.
Die beeindruckenden Naturkulissen prägen den Film ebenso wie die geduldige Beobachtung der Protagonisten/innen in ihrem Alltag. Matthias von Gunten nimmt sich viel Zeit für die Menschen – Zeit, die Tuvalu nicht hat. Der Film kann kein Happy End liefern, aber wenigstens einen Hoffnungsschimmer. In einem Treibhaus stehen Baumsetzlinge – eine schnell wachsende und gegen Meerwasser resistente Baumart, die helfen soll, die Ufer des Atolls zu stabilisieren. Aber am Ende steht doch die Frage im Raum, ob das nicht alles zu wenig ist und zu spät kommt.
Filmische Realisierung
Die Dramaturgie ist einfach und doch raffiniert: Vom Anfang bis zum Ende erzählt der Film in zwei parallelen Strängen. Dabei nähert er sich zunächst behutsam den Schauplätzen und erkundet das Leben seiner Protagonisten/ innen in Thule und Tuvalu. Nach den ersten Alltagsbeobachtungen dringt der Film dann weiter vor zu den aktuellen und drängenden Fragen: Wie macht sich der Klimawandel jeweils bemerkbar? Wie gehen die Protagonisten/innen mit den Veränderungen um? Risse im Eis, unterspülte Ufer, vom eindringenden Salzwasser zerstörte Pflanzungen. Menschen beschreiben ihre Einstellung zur Zukunft ihrer Familie und zur Bedrohung ihrer Existenz – unterlegt und konterkariert durch beeindruckende Landschaftsaufnahmen. Der Film erkundet Traditionen und Haltungen. Ein Exkurs mit Bildern von der Weltklimakonferenz in Kopenhagen stellt einen großen Zusammenhang her, die Sequenz über die ausgewanderten Tuvalesen zeigt, was vielen anderen wohl noch bevorsteht – ein Leben ohne das Inselparadies.
Eine wichtige Funktion für das „Zusammendenken“ der beiden Stränge haben die Übergänge, die auf unterschiedliche Weise gestaltet werden. Oft endet eine Episode mit einem Bildmotiv, das dann am anderen Schauplatz aufgegriffen wird (vgl. Arbeitsmaterial F 8). Zwischen den beiden Erzählsträngen gibt es Parallelen und schroffe Gegensätze – das macht den Film interessant. Auf der einen Seite ist die Luft kalt und das Klima lebensfeindlich, auf der anderen Seite herrscht scheinbar ewiger Sommer. Jenseits dieses oberflächlichen Kontrastes ähneln sich die Bilder und Haltungen: Menschen, die mit der natürlichen Umgebung eng verbunden sind, die Naturphänomene mit gleicher Aufmerksamkeit beobachten, die über Tiere und Pflanzen Bescheid wissen, sie mit ihren eigenen Händen jagen, töten und verarbeiten. Die parallele Filmerzählung führt immer wieder zu Momenten, in denen das globale Problem symbolhaft verdichtet erkennbar wird: Etwa wenn die Kante der zurückgehenden Eisfläche verknüpft wird mit dem Blick auf die Pazifikwellen, die den Ufersaum auf Nanumea unterspülen.
Musik wird sparsam eingesetzt; sie unterstreicht die Atmosphäre der Naturaufnahmen und stärkt den Zusammenhang an den Sequenzübergängen. Auf der akustischen Ebene nehmen Naturgeräusche einen großen Raum ein: das Rauschen der Wellen, Tierstimmen, das Knirschen von Schritten im Eis. Die Äußerungen der Protagonisten/innen werden nicht von Synchronstimmen übersetzt, sondern durch Texteinblendungen – so bleibt der authentische Klang der Stimmen vollständig erhalten. Es gibt keinen Off-Kommentar, aber immer wieder Texteinblendungen, die die Bilder mit Fakten zu globalen Entwicklungen oder Erläuterungen zu den Handlungsorten ergänzen.