Klimawandel, Migration und die Frage der Gerechtigkeit

Die wissenschaftliche Beweislage ist klar: Der vom Menschen gemachte Klimawandel verändert unsere Umwelt und damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Bereits heute sind auf allen Kontinenten und in den Weltmeeren Klimafolgen zu beobachten (IPCC, 2014). Auch wenn in den Pariser Klimaschutzverhandlungen das Ziel festgelegt wurde, die globale Erwärmung auf eine Temperaturerhöhung von maximal 1,5 bis 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, werden bestimmte Regionen zukünftig vermehrt von Klimafolgen betroffen sein. Dies wirft die Frage auf, was diese Veränderungen für die Menschen bedeuten, die in den entsprechenden Gebieten gegenwärtig leben.

In Ländern wie Bangladesch oder Kleininselstaaten wie Tuvalu, die nur knapp über dem Meeresspiegel liegen, kann auch ein moderater Anstieg des Meeresspiegels bedeuten, dass heute teils eng besiedelte Gebiete zukünftig unbewohnbar werden. Ebenfalls nehmen Risiken für Extremwetterereignisse wie tropiNach der FilmbetrachtungArbeitsmaterial F 6  "ThuleTuvalu"sche Stürme oder Sturmfluten zu, die erhebliche Schäden verursachen. In ariden¹und semi-ariden Gebieten hingegen können extreme Dürren auftreten, die starke Einbrüche in der landwirtschaftlichen Produktion zur Folge haben. Dies war beispielsweise in Syrien vor Beginn des Bürgerkriegs der Fall, als etwa 1,5 Millionen Menschen aufgrund einer extremen Dürre ihre Lebensgrundlage verloren und innerhalb kurzer Zeit vom Land in städtische Peripherien² wanderten (Kelley, Mohtadi, Cane,  wSeager, & Kushnir, 2015). Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer solchen Dürre war unter Berücksichtigung der fortschreitenden Erwärmung um das zwei- bis dreifache erhöht (Kelley et al., 2015).

Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration ist jedoch komplex, denn jede Entscheidung zur Migration ist eine individuelle Abwägung des Einzelnen. Viele verschiedene Faktoren können eine solche Entscheidung beeinflussen, wie zum Beispiel die Situation im Heimatort. Dort können wirtschaftliche oder politische Gegebenheiten, die demografische Entwicklung oder auch die persönlichen Lebensumstände eine Rolle dabei spielen, ob der Einzelne sich entschließt zu migrieren. Die negativen Folgen des Klimawandels können dabei auf diese Faktoren Einfluss nehmen oder selbst zum ausschlaggebenden Grund für die Migration werden. Ebenso spielen die Möglichkeiten zur Migration, also finanzielle Ressourcen oder etwa die Anbindung an eine Verkehrsinfrastruktur, eine wichtige Rolle. Darüber hinaus können auch Zielorte von Migration als Anziehungspunkte wirken, da es dort gegebenenfalls bessere Chancen auf Bildung, gesundheitliche Versorgung oder ein höheres Einkommen gibt. Zudem begünstigen eventuell bereits bestehende familiäre Netzwerke an anderen Orten die Migration.

Klimawandel und  Gerechtigkeit

An den Folgen des Klimawandels leiden besonders arme Menschen, die keine finanziellen Ressourcen haben, um sich an die veränderte Umwelt anzupassen oder Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Gerade in den ländlichen Risikogebieten, wie beispielsweise in niedrig liegenden Flussdeltas, arbeiten viele betroffene Menschen in der Landwirtschaft oder in der Fischerei. Ihr wirtschaftliches Einkommen ist eng mit der Gesundheit des Ökosystems verbunden, in dem sie arbeiten. Versalzen ihre Böden oder vernichten Stürme ihre Ernten, so folgen große finanzielle Verluste.

Auch in den städtischen Elendsvierteln sind Klimafolgen bereits heute eine Gefahr für die Bevölkerung. Lang anhaltende Hitzewellen und Temperaturrekorde sind eine außerordentliche Belastung für Menschen, die in dicht gebauten, überbevölkerten Hüttensiedlungen mit Wellblechdächern leben, ohne Klimaanlage und ohne adäquate sanitäre Anlagen. Zudem werden informelle Siedlungen und Slums oft in Hochrisikogebieten wie beispielsweise Berghängen oder Überflutungszonen errichtet, weil dort Grundstückspreise bzw. Mieten günstig sind. Die behelfsmäßige Bauweise der Siedlungen bietet bei Stürmen mit hohen Windgeschwindigkeiten wenig Schutz. Ebenfalls besteht ein großes Informationsdefizit bei der lokalen Bevölkerung – der Kenntnisstand zum Klimawandel und den unmittelbaren Folgen ist sehr begrenzt. Auch Wissen über den Katastrophenschutz und das Verhalten etwa im Falle einer Sturmflut ist oft nicht ausreichend vorhanden, was ihre Verletzlichkeit weiter begünstigt.

Gleichzeitig haben arme Bevölkerungsgruppen kaum zu den globalen Treibhausgasemissionen und damit auch nicht zur Entstehung des Klimawandels beigetragen. Untere Einkommensschichten haben einen sehr niedrigen Ressourcenverbrauch. Sie nutzen wenig bis keine fossilen Energieträger wie Kohle, Öl und Gas, durch deren Verbrennung Treibhausgase freigesetzt werden. Dennoch müssen sie die negativen Folgen des extrem hohen Ressourcenverbrauchs der oberen Einkommensschichten tragen.


Fehlende Schutzregime


Während in Medienberichten oft von Klimaflüchtlingen gesprochen wird, spiegelt der Begriff nur den Sachverhalt wieder, dass Menschen ihre angestammten Gebiete im Falle von Extremwetterereignissen teils fluchtartig verlassen müssen. Der Begriff Flüchtling ist jedoch rechtlich definiert durch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und beschreibt eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt“ (UNHCR, 1951). Somit werden Personen, die aufgrund von Umweltveränderungen grenzüberschreitend migrieren (müssen), nicht als Flüchtlinge im Rahmen des internationalen Rechts erfasst und haben beispielsweise keinen Rechtsanspruch auf Asyl.

Die meisten der von Umweltveränderungen betroffenen Migranten/innen wandern innerhalb ihres eigenen Landes, weil sie nur begrenzte finanzielle Ressourcen haben und oft nicht in einem Land fern ihrer Heimat leben möchten. Während es keine internationale Konvention zum Schutz von Binnenmigranten/innen gibt, unterliegen sie, neben dem jeweiligen nationalen Recht, wie alle anderen Menschen auch den Menschenrechten. Somit sind sie unter verschiedenen internationalen Schutzregimen erfasst, zum Beispiel der Menschenrechtskonvention oder dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. In den Leitlinien zu Binnenvertreibungen (UN Menschenrechtskommission, 1998) werden die für Binnenmigranten relevanten Rechtsnormen zusammengefasst. Das ist der Versuch, bestehende Grauzonen zu verkleinern. Zwar sind die Leitlinien selbst kein rechtlich bindendes Instrument und erfahren keine völkerrechtliche Ratifizierung, sie beziehen sich aber auf rechtlich bindende Konventionen, denen Vertragsparteien (also Regierungen und Behörden) nachkommen müssen.

Auch ohne ein umfassendes Schutzregime für Klimamigranten/innen ist absehbar, dass Menschen zunehmend häufig aufgrund von Umweltveränderungen migrieren werden. Unabhängig davon, dass es auch weiterhin in der Einzelfallanalyse Probleme geben kann, die  Abwanderung auf den Klimawandel zurückzuführen, müssen für die Menschen effektive Schutzmechanismen etabliert werden.


Anmerkungen:
¹ aride und semi-aride Gebiete:  abgeleitet vom lateinischen aridus = trocken; in ariden Gebieten ist die Verdunstung im langjährigen Mittel höher als das Niederschlagsaufkommen. In semi-ariden Gebieten gilt dieser Zustand nur für einen Teil des Jahres.

 ² Peripherie: Randgebiet

Literaturhinweise:
IPCC. (2014). Climate Change 2014 Synthesis Report Summary for Policymakers. Intergovernmental Panel on Climate Change, 31.doi.org/10.1017/CBO9781107415324

Kelley, C. P., Mohtadi, S., Cane, M. A., Seager, R., & Kushnir, Y. (2015). Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 112(13), 3241–6. doi.org/10.1073/pnas.1421533112

UN Menschenrechtskommission. Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen, Wirtschafts- und Sozialrat (1998).

UNHCR. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (1951).

Bangladesch – auf Augenhöhe mit dem Meer

Bangladesch ist für weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich. Aber es zählt zu den Ländern, die vom Klimawandel besonders hart getroffen werden. Das hat verschiedene Gründe:

Das Höhenprofil: Bangladesch ist überwiegend sehr flach und niedrig gelegen. Das
GangesBrahmaputra-Delta, das von Flüssen und Kanälen durchzogen wird, prägt die Landschaft.
Ein Drittel des Staatsgebietes gehört zur Küstenzone. In diesem Bereich liegen 62 Prozent unter
drei Meter und 86 Prozent unter fünf Meter über dem Meeresspiegel. Hier leben 35 Millionen
Menschen, also 28 Prozent der Bevölkerung von Bangladesch.
.
Die geografische Lage: In Bangladesch sind Sturmfluten von fünf Metern Höhe und mehr keine.
Seltenheit. Im flachen Wasser im nördlichen Golf von Bengalen können Sturmfluten sehr hoch.
auflaufen. Zudem können Regenfluten aus dem Himalaya das Land von innen überschwemmen..
1999 forderte eine durch einen Taifun ausgelöste Sturmflut 138.000 Todesopfer.

Die Wirtschaftslage: Bangladesch ist eines der ärmsten Länder der Welt. Aufwändige.
Küstenschutzmaßnahmen wie zum Beispiel in den Niederlanden kann sich das Land nicht
leisten. Die Menschen haben durchschnittlich einen niedrigen Bildungsgrad und wissen wenig.
über den Klimawandel und seine Folgen. Für sie ist es schwierig, alternative Lebensmodelle zu.
entwickeln..

Die Bevölkerungsstruktur: Bangladesch ist dicht besiedelt. Im Durchschnitt leben in Bangladesch.
rund 1.000 Einwohner auf jedem Quadratkilometer. Auf 40 Prozent der Fläche Deutschlands.
leben rund 150 Millionen Menschen. Die Bevölkerung wächst zwar nicht mehr so schnell, aber.
nach wie vor nimmt die Zahl der Einwohner/innen zu.

Folgen eines Meeresspiegelanstiegs


Bei einem Meeresspiegelanstieg werden nicht nur Landgebiete direkt an der Küste überflutet, sondern auch im Landesinnern, da es durch den Meeresspiegelanstieg zu einem Wasserrückstau in den großen Flüssen kommt. Prognosen sagen voraus, dass ein Meeresspiegelanstieg von einem Meter etwa 15 Millionen Menschen zwingen würde, ihre Heimat zu verlassen. Im Südwesten der Küstenzone gibt es die größten zusammenhängenden Mangrovenwälder der Erde. Sie bilden die Lebensgrundlage für zehn Millionen Menschen, die hier vor allem Fischfang betreiben. Diese Mangrovenwälder schützen das Hinterland vor Sturmfluten. Ein Meeresspiegelanstieg von über einem Meter würde ihren Bestand gefährden.

Ein besonderes Problem ist das Eindringen von salzhaltigem Meerwasser, das sich jetzt schon bemerkbar macht. Durch den weiteren Meeresspiegelanstieg würde die Versalzung noch weiter ins Inland vordringen. Die Versalzung der Böden und der Gewässer hat weitreichende Folgen für die Landwirtschaft und die Gesundheit der Bevölkerung. Der Reisanbau ist gefährdet und schon heute in einigen Gebieten unmöglich geworden. Als Alternative werden große Shrimp-Farmen angelegt, die aber weitaus weniger Arbeitsplätze schaffen können. Eine verstärkte Ausbreitung von Cholera und anderen Krankheiten ist zu befürchten, da eine warme und feuchte Umgebung mit mäßig hohem Salzgehalt die Erreger dieser Krankheiten begünstigen.

Quelle: Klima-Wiki / Deutscher Bildungsserver
(CC BY SA 3.0, Text bearbeitet)

Aufgaben

  • Nennen Sie Umweltveränderungen, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen.
  • Erläutern Sie, inwiefern mit dem Klimawandel Gerechtigkeitsprobleme entstehen. Gehen Sie dabei sowohl auf internationale wie auch innerstaatliche Verhältnisse ein.
  • Im Film THULETUVALU wird die Situation der Menschen thematisiert, die aus Tuvalu auswandern wollen oder es bereits getan haben. Erläutern Sie, ob sie nach den derzeitigen Regeln als Flüchtlinge anerkannt werden können.
  • Viele Regierungen bemühen sich darum, die Lage ihrer Bevölkerung zu verbessern. Es gibt jedoch auch Staaten, in denen Korruption weit verbreitet ist. Diskutieren Sie, welche politischen Handlungsmöglichkeiten es gibt, um Unterschlagung und Vergeudung von Hilfsgeldern und -leistungen zu vermeiden.
  • Erläutern Sie, welche Informationen der Kartenausschnitt zum südlichen Teil von Bangladesch enthält.
  • Diskutieren Sie, ob und in welchem Umfang Staaten wie Bangladesch oder Tuvalu direkte Ausgleichszahlungen für die Folgen des Klimawandels erhalten sollten. Wer sollte diese Ausgleichszahlungen leisten?