Uta Passow: Das Unglück – ökologische Folgen für den Golf von Mexiko

Dr. Uta Passow
Dr. Uta Passow ist Biologische Meereskundlerin. Sie hat am Institut für Meereskunde in Kiel promoviert und seitdem dort, am Alfred-Wegener Institut in Bremerhaven und am Meeresbiologischen Institut der Universität Californiens, Santa Barbara gearbeitet. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich der vom Menschen verursachte Kohlendioxidausstoß auf die Ozeane und die in ihnen lebenden Organismen auswirkt. Zudem untersucht sie, welche Folgen das Öl, das 2010 im Golf von Mexiko auslief, für das Ökosystem hatte.
Nach der Explosion der Plattform Deepwater Horizon lief fast drei Monate lang Öl in großen Mengen ins Meer, denn erste Versuche das Leck zu stopfen, schlugen fehl. Der Ölteppich bedeckte insgesamt eine Gesamtfläche von ungefähr 112.115 km², eine Fläche fast so groß wie Griechenland. Die Gesamtmenge des ausgelaufenen Öls wird auf bis zu 7 Millionen Barrel (etwa 1 Million Tonnen) geschätzt. Das Leck befand sich in einer Meerestiefe von über 1.400 Meter, in der großer Druck herrscht und das Wasser kalt ist.
Vom Leck aus bewegte sich das Öl in Form von kleinen Tropfen Richtung Meeresoberfläche. Salatöl steigt auch nach oben nachdem die Salatsoße gemischt wurde. Ein Teil des Öls blieb in etwa 1.000 Meter Wassertiefe hängen. Diese Ölfahne wurde von den Strömungen mindestens 400 Kilometer nach Südwesten getrieben. Das Öl, das an die Wasseroberfläche gelangte, bildete dort Ölteppiche, die von Wellen und Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurden – deshalb war es unmöglich, die großen Ölmengen bereits in der Nähe der Austrittsstelle aufzufangen.
Sonnenlicht und allgemeine Verwitterung ändern die Zusammensetzung des Öls an der Meeresoberfläche. Ein Teil des Öls erreichte einen 1.800 Kilometer langen Uferstreifen, an dem überwiegend Sandstrände und Marschland¹, aber auch Mangroven² betroffen waren. Ein großer Teil des Öls sank zusammen mit marinen Partikeln (Meeresschnee) zum Meeresboden. Meeresschnee wird so genannt, weil es für einen Taucher wie ein Schneesturm im Wasser aussieht. Im Ganzen kann man sagen, dass das Öl sich sehr rasch verteilte und viele verschiedene Ökosysteme beeinflusste.
Es wurden mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Schäden für die Umwelt zu begrenzen: Öl wurde direkt am Leck und auch von der Meeresoberfläche eingesammelt. Wo der Ölteppich mehrere Millimeter dick war, wurde er angezündet, um das Öl zu verbrennen. Es wurde auch versucht, Öl vom Land fernzuhalten, indem man Staudämme des Mississippi öffnete – in der Hoffnung, dass das ausfließende Wasser das Öl vom Land wegdrücken würde.
Vor allem wurden große Mengen Dispersionsmittel eingesetzt, die bewirken sollten, dass das Öl in Form kleiner Tropfen gut im Wasserverteilt wird, anstatt einen dicken Teppich an der Oberfläche zu bilden. Überwiegend wurde das Dispersionsmittel Corexit benutzt, das direkt mit Flugzeugen auf den Ölteppich gesprüht und auch in das ausströmende Ölam Leck eingespritzt wurde. Die Verwendung von Corexit war und ist sehr umstritten, denn Corexit selbst ist ökotoxisch³ und daher schädlich für die Umwelt.
Es gibt verschiedene Arten von Rohöl, die jeweils aus mehr als 10.000 verschiedenen chemischen Substanzen bestehen. Jede dieser Substanzen hat unterschiedliche chemische und biologische Eigenschaften. Für den Menschen und die meisten Meerestiere sind einige der Bestandteile giftig und können Krebs oder andere Krankheiten sowie Erbschäden verursachen. Für einige Bakterien hingegen können Bestandteile des Rohöls als Energie- und Kohlenstoffquelle dienen.
Bilder im Fernsehen zeigten ölverschmierte Vögel, Schildkröten und Säugetiere wie Delfine und Robben. Man geht davon aus, dass Tausende der seltenen Braunpelikane, mehr als 600 Schildkröten und mehr als 100 Delfine direkt während des Unfalls gestorben sind. Stark verölte Tiere sterben meist sehr bald. Inzwischen weiß man aber auch viel über die längerfristigen Schäden, deren Auswirkungen noch viele Jahre später zu spüren sind.
Giftige Substanzen, die vom Öl stammen, sind in das gesamte Nahrungsnetz eingedrungen, und als Konsequenz haben alle Tiere Öl aufgenommen. Das Immunsystem der Delfine, die indem vom Öl betroffenem Meeresgebiet leben, ist schwächer als das einer Vergleichsgruppe von Delfinen, die keinem Öl ausgesetzt war. Auch konnte man bei den betroffenen Delfinen nachweisen, dass diese sich seit der Katastrophe weniger gut vermehren. Obwohl diese Tiere keine äußerlichen Schäden davongetragen haben, sind sie offensichtlich beeinträchtigt worden.
Ein großer Prozentsatz der Fische im Unfallgebiet hat Hautschäden oder Wunden auf der Haut, ist mangelernährt und hat Leberschäden. Zudem ist ihr Immunsystem geschwächt. Bei Fischen, die sich von Würmern oder Muscheln vom Meeresboden ernähren, sind Bestandteile des Öls in der Leber nachgewiesen worden. Giftstoffe, die vom Öl stammen, wurden auch in den Muskeln von Tiefseefischen gefunden. Ölbestandteile wurden in der Galle des Red Snapper, einem beliebten Speisefisch, nachgewiesen. Obwohl die Konzentrationen der Ölbestandteilein den Folgejahren langsam abnahmen, hatten sie 2013 noch nicht den Normalwert erreicht.
Zusätzlich haben Forscher/innen herausgefunden, dass sich viele Fischarten im Jahr des Ölunfalls nicht erfolgreich fortgepflanzt haben. Bei den Jungstadien von Thunfischen zum Beispiel hat man als Folge der Ölverschmutzung Herzschäden festgestellt. Wenn man die Altersstruktur dieser Nutzfische betrachtet, so fällt auf, dass der Altersjahrgang von 2010/2011 fehlt. Das hat natürlich auch große Folgen für die Fischereiwirtschaft.
Auch kleine und kleinste Lebewesen im Meer sind betroffen. Auf dem Meeresboden sind die dort lebenden Organismen erstickt worden, als eine große Schicht ölverseuchten Meeresschnees auf sie fiel. Tausendjährige Korallen, welche wie kleine Bäume am Meeresboden aussehen, wurden besonders geschädigt. Ein Ölfilm legte sich auf einzelne Äste, die dann abstarben. Nur die Korallen, bei denen weniger als 20 Prozent der Äste betroffen waren, fangen nun endlich an sich zu erholen. Den anderen geht es weiterhin schlecht, die Äste sterben ab und werden von anderen Tieren überwuchert.


Das Plankton, die mikroskopisch kleinen Pflanzenund Tiere, welche die Nahrung für die größeren Tiere bereitstellen, starben als die Ölkonzentrationen hoch waren. Sie sanken als Meeresschnee zum Meeresboden. Mikroskopisch kleine Krebstierchen, Copepoden genannt, versuchen Öl zu vermeiden, wenn sie können. Einige der kleinen Algen, Phytoplankton genannt, können mit Hilfe von Bakterien geringe Mengen Öl abbauen. Im Ganzen hängen die Schäden, welche das Plankton davonträgt, davon ab, wie lange diese wichtigen Mikroorganismen dem Öl ausgesetzt sind und wie hoch die Ölkonzentration ist. Einige Bakterien können bestimmte Komponenten des Öls benutzen und wachsen gut, solange es zusätzlich auch Dünger (Nährstoffe) gibt. Dadurch, dass diese Bakterien gut wachsen, wenn Öl im Wasser ist, verdrängen sie die Bakterienarten, die gewöhnlich vorhanden sind. Als Folge ändert sich die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft. Wir verstehen die Folgen davon noch nicht sehr gut.
Öl, das an Land gespült wurde, drang tief inden Sand oder Erdboden ein, füllte die Poren und beeinflusst so alle Organismen, die im Sand oder Marschboden leben. Die Rückstände von Öl können in den Tieren auch Jahre später noch nachgewiesen werden. Manchmal können aufwendige Säuberungsarbeiten einen Teil des Öls entfernen, aber dabei werden in der Regel die Lebensräume noch weiter zerstört. Daher scheint es oft ratsamer nicht einzugreifen.
An den Küsten verschwanden zum Beispiel viele Insekten, und die Vögel, welche sich von diesen ernähren, wie zum Beispiel Schwalben, bauten weniger Nester und legten weniger Eier. Einige Ameisenarten, die küstennah leben, verschwanden und kleine Meeresschnecken und Austern wurden weniger. Im Ganzen kann man sagen, dass der Ölunfall neben den sofortigen Folgen auch viele längerfristige Schäden verursachte und die Lebewesen und Ökosysteme des Meeres und der Küstenregion auch viele Jahre später noch beeinträchtigt sind. Auch 2016 konnten wir noch die Folgen des Unfalls auf das Ökosystem sehen. Aber hohe bakterielle Abbauraten von Öl haben auch dazu geführt, dass nicht noch größere Schäden entstanden sind.
Worterklärungen:
¹ Marschland = Flachland in Ufernähe, durch aufgespülteSedimente (Ablagerungen) sehr fruchtbar
² Mangroven = ein von Mangrovenbäumen geprägtesartenreiches Ökosystem, das sich in tropischen Ländernan Ufern mit salzhaltigem Wasser bildet
³ ökotoxisch = giftig („toxisch“) für die Umwelt oder füreinzelne Teile eines Ökosystems
Aufgaben
- Beschreibe, warum es nicht möglich war, dasÖl einfach an der Unfallstelle abzusaugen.
- Nenne drei Maßnahmen, die dazu beitragensollten, die Belastung durch das Öl zu verringern.Wie sind sie zu bewerten?
- Auch mehrere Jahre, nachdem das Öl nichtmehr zu sehen ist, sind Fische und andereLebewesen geschädigt. Wie ist das zu erklären?
- Einige Bakterien können Öl als Nahrungsmittelnutzen. Benenne und bewerte die Folgen.